(Not) kissing the Wall - Die erste Szene
- cassidycane93
- 23. Juni 2024
- 3 Min. Lesezeit
“Daran kann man sich gewöhnen, oder?”
Helena grinst, während wir mit großen Schritten das Media Zelt ansteuern, wo die Presse schon hungrig und gnadenlos darum bemüht ist, Fahrer für Fahrer zu zerlegen.
“Woran genau?”, frage ich den Kopf meines PR-Teams. “An den Ohrwurm der eigenen Hymne? Oder dem Fireproof, der dank des Champagners an mir klebt, als hätte ich mich eingepinkelt?”
Helena verdreht die Augen.
“Ach, Kai. Darauf stehst du doch.” Sie zwinkert, doch sobald das Interview-Zelt in unserem Blickfeld auftaucht, schaltet sie um. Ihr Grinsen weicht einem strengen Gesichtsausdruck. Nun ist sie nicht mehr länger die Freundin, der ich vieles - niemals alles - anvertrauen würde, sondern die toughe Managerin, deren Lebensaufgabe es zu sein scheint, mich vor den schlagzeilesuchenden Journalisten zu schützen.
Fast schon automatisch setze auch ich meine Maske auf. Eine Maske, die aus so viel Charme, Selbstüberzeugung und Professionalität besteht, dass ein Fehltritt unmöglich ist. Nicht, dass da ein Risiko besteht, schließlich stand ich vor nicht mal fünfzehn Minuten auf der obersten Stufe des Podiums - nachdem ich fast alle 74 Runden die Strecke dominiert habe. Meine Spitzen sind noch feucht von der Champagner-Fontäne und ja, wenn ich nicht aufpasse, dann summe ich gleich wirklich die britische Nationalhymne.
Ich muss mir keine Sorgen um die Fragen machen, die nur noch wenige Meter von mir entfernt auf mich warten.
Das heißt nicht, dass ich innerlich nicht trotzdem einen Film schiebe.
“Entspann dich, K. Alle lieben dich.” Entgegen ihrer Aussage, schiebt Helena mich bestimmt und lieblos in die Höhle der Löwen. Mir bleibt nur ein kurzer Augenblick, um durchzuatmen, als schon das erste Mikrofon in meine Richtung gehalten wird.
AFS - all for sports.
Harmlos. Locker. Internet.
“Kai! Wow, oder? Was ein Rennen!” Ray, ein mir bereits sehr Bekannter Journalist, strahlt, als hätte er als erster die Ziellinie überschritten. Ich passe mich seinem Enthusiasmus an. Grinse problemlos, schließlich habe ich es wirklich geschafft. Ich bin der Sieger des deutschen Grand Prix.
“Kannst du laut sagen”, erwidere ich, ziehe meine Team-Cap vom Kopf und fahre mir durch das klamme Haar. “Deutschland enttäuscht nie”, füge ich hinzu, ehe ich die Cap wieder aufsetze. Etwas tiefer in die Stirn gezogen, als vorher. Mein geheimer Schutzmechanismus, um in einer Welt, in der es kaum Rückzugsmöglichkeiten gibt, Distanz aufzubauen.
Aus dem Blickwinkel sehe ich, wie Helena zufrieden nickt.
Schmeichele das Gastgeberland.
“Wohl wahr! Trotzdem sah es nach dem Boxenstopp erstmal nicht gut für dich aus, oder?”
Ah ja, der Boxenstopp. Das einzig nicht perfekte an diesem Rennen.
Wirf ihnen niemanden zum Fraß vor.
Nicht, dass ich das jemals absichtlich machen würde. Mein Team ist jung und macht Fehler. Das ist normal. Das ist menschlich.
“Da muss was mit der Kommunikation zwischen uns nicht gepasst haben. Vielleicht haben sie mich über das Radio nicht so gut verstanden.”
Wieder nickt Helena.
“Aber ich hab keine Sekunde daran gezweifelt, dass wir Sterling wieder einholen und letztlich dann auch überholen. Ihr Auto ist verdammt gut. Aber das ist unseres auch. Und-“, ich grinse, “P und B müssen ein paar Jahre mehr auf dem Buckel tragen. Da verliert man schon mal an Tempo.”
Ray lacht.
Perfekt.
“Du hast hier auf jeden Fall mal wieder gezeigt, dass sie sich nicht auf ihren Weltmeister-Titeln ausruhen dürfen. Wo wir von Ausruhen sprechen: Wir nähern uns mit großen Schritten dem Ende der Saison. Die Hälfte der Rennen haben wir hinter uns. Wie sieht es bei dir aus? Kannst du uns schon verraten, für wen du nächstes Jahr fahren wirst?”
Helena neben mir versteift und blickt sich bereits nach dem nächsten Journalisten um.
“Wenn dir noch ein halbes Jahr bevorsteht, in dem du kreuz und quer durch die Welt fliegst, dann ist auch die Saison noch ziemlich lang”, entgegne ich, ohne auf seine Frage zu antworten. Helena entspannt sich und ich weiß, dass ich wieder einmal einen guten Job gemacht habe.
Nein, einen perfekten Job. Denn weniger ist schon lange nicht mehr drin.






Kommentare